Ein philosophisches Zitat von Friedrich Nietzsche führt mich über die offensichtliche Sinn-Frage eher zu einem Thema im zweiten Teil des Satzes: vertragen mit jedem WIE? und noch spannender: „…fast mit jedem WIE?“. Wenn man also den Sinn (des Lebens, einer Sache, einer beruflichen Tätigkeit) erkennt und für sich klar hat, dann erträgt man bei der Umsetzung auch beinahe jede Konsequenz. Ist das so? Was löst die Sinn-Erkenntnis aus? Im Leben? Im Job? Wo steuern die Menschen und Führungskräfte in der Lebensmitte hin mit der Sinn-Gewinnung?
Ich löse mich komplett vom Zusammenhang: weg vom Nihilismus, weg vom Gedanken eines Übermenschen. Das Zitat erhellt für mich einen Part, der in meiner Coaching-Praxis oft zu kurz kommt. Wie gehts nach dem Erkenntnisgewinn weiter? Was löst er aus? Nach meiner Erfahrung ist die Veränderung, die angestrebt wird und für die es ein Ziel (= Sinn) geben soll, diese Veränderung steckt in den meisten Fällen bereits in uns, noch bevor wir uns auf den Weg machen. Einen anderen Zustand herstellen ist der Motor. Sinn ist also meist nicht der Treiber, den man braucht, um sich auf den Weg zu machen, sondern eine Art Rechtfertigung?
Weil es jetzt einen Sinn ergibt, kann ich nun was ändern. Oder: ich ändere etwas, damit es Sinn macht. Ich will nicht abschweifen … philosophieren … aber die Erkenntnis ist: Die Veränderung ist der Sinn.
Nicht nur in Unternehmen wird viel Zeit und Aufwand in das Sinn-Thema investiert. Und die Umsetzung ergibt sich meist daraus. Sie wird dann in einem Prozess mit allem Drum und Dran abgebildet. Glorifiziert wird das sinnvolle Ziel und die mühevolle Realisierung landet im Projektmanagement. Zielführender wäre es doch, wenn der Umsetzung eine Sinn-Erfüllung zugedacht wird. Veränderung ist wichtig! Stillstand in der Komfortzone lässt vieles fad werden. Ein schaler Geschmack übertüncht vom Zuckerguss eines „Sinns“.
Wir tun uns schwer mit Veränderung, streben nach Sicherheit und Stabilität. Harmonie. Eine Analogie: Um von A nach B zu kommen, muss ich einen Schritt machen. Mich kurze Zeit vom sicheren Stand auf zwei Beinen lösen und eine Phase der Instabilität in Kauf nehmen: ein wackliges Bein auf dem Boden, das andere in der Luft. Das machen wir im Vertrauen, dass wir danach wieder auf beiden Beinen stehen können. Nur so überwinden wir die Unsicherheit.
Aber am liebsten bleiben wir auf dem Ausgangspunkt. Konsequenz: wir kommen nicht voran. Um Nietzsche zu verfremden: wir vertragen uns mit fast jedem WIE? im Stillstand. Finden viele Gründe fürs Verharren. In Unternehmen können manche Teile der Organisation extrem spröde sein! Am anderen Ende, am Ziel, lockt man mit dem verheißungsvollen Sinn. Dort ist es schön, die Welt in Ordnung und alles wird dann so sein, wie es soll. Aber: sieh zu, wie Du das hinbekommst. Wird schon.
Veränderungen machen Sinn, weil sie auch uns verändern. Voranbringen. Entwickeln. Und wir können das auch – jeder hat schon mal einen Schritt nach vorne gemacht. Sich auf unbekannten Pfaden bewegt. Unsicherheiten überwunden. Wir brauchen keinen Sinn am anderen Ende – dieser liegt in der Phase dazwischen. Und unsere Stärken und Kompetenzen genauso. Im Meistern der Instabilität kräftigen wir uns selbst. Jedes Mal.
Zurück zum Zitat: vertragen wir uns mit jedem WIE? Es heißt auch, der Zweck heiligt die Mittel. Aber wir fühlen uns bei so einer Sache nie gut dabei. Warum sollten wir eine Veränderung anstoßen, bei dem man sich nur am Ende gut fühlt? Was ist, wenn der Weg dorthin auch Spaß macht (oder Ähnliches)? Sinn im Tun hilft. Und auch genau das zu erkennen hilft Unternehmen und Führungskräfte, Veränderungen zu managen. Also eben nicht mit der Möhre winken, sondern das Team bekräftigen und ermutigen, eine Zufriedenheit und Sinnhaftigkeit im Schritt nach vorne zu erkennen und zu leben. Gilt 1:1 auch fürs Selbstcoaching!
Und nein, wie müssen uns nicht mit dem „fast jedem WIE!“ arrangieren! Mache es passend, dass jedes WIE? nicht nur ertragen wird, sondern getragen. Das WIE? soll (te) sich gut anfühlen. Hierin müsste mindestens die Hälfte der Investition bei einer Veränderung liegen. Statt mit viel Aufwand einen schmackhaften Sinn als Ziel auszurufen, statt zu versuchen, jeden Mitarbeiter im Unternehmen hinter dieses Banner zu versammeln (oder zu verordnen) – mindestens mit einem lauten „Tchakaaaa!“ – lieber ein paar wertschätzende Worte mehr für diejenigen, die das umsetzen. Unterstützende Anerkennung fürs Loslassen. Bekräftigung in den Unsicherheiten. In Erinnerung rufen: wir haben das doch schon einmal geschafft! Die Kompetenz, die Fähigkeit und auch die Stärke liegt bereits in uns!
Diese Sichtweise ist für mich ein sinnvolles WARUM? mit einem attraktiven WIE?